Quantcast
Viewing all articles
Browse latest Browse all 18

Der Himmel auf Erden: Anarchie?

Ich beobachte im Umfeld des Geschäftsprozessmanagements, dass der Trend hin zu immer mehr Verantwortung zu den Teammitgliedern geht. Der Chef agiert mehr und mehr als Koordinator und achtet darauf, dass die gemeinsamen Ziele nicht aus den Augen verloren werden. Ein besonders gut funktionierendes Beispiel ist die agile SCRUM Methodik, wie sie anfangs in Entwicklungsteams eingeführt wurde, aber inzwischen in beliebigen anderen Teams zum Zuge kommt. Diese Teams arbeiten in nicht-Hierarchischen Strukturen.

SCRUM – eine agile (anarchistische) Organisationsmethode

Der Product Owner vertritt hierbei vor dem Team eine Menge an Einzelprodukten (z.B. neuen Funktionen in einer Standard-Software), die durch das Management entschieden wurden, und die am Ende eines Zeitraums von mehreren Moanten  fertiggestellt sein sollen. Damit die Entwicklungsgeschwindigkeit abschätzbarer wird, trifft man sich alle 2-4 Wochen, um über die Menge an Einzelprodukten zu befinden, die in den nächsten 2-4 Wochen (=Iteration) vom Team abgeliefert werden sollen. Was genau zu liefern ist, hat der Product Owner zuvor beschrieben. Während der Iteration arbeiten die Teams quasi anarchisch. Sie legen gemeinsam fest, wer sich um was kümmert, so das am Ende der Iteration das Versprochene geliefert wird. Damit man jederzeit weiß, wie der Status ist, trifft sich das Team einmal am Tag und tauscht sich im Stehen 15 Minuten aus. Hier wird auch angefragt, wer bei einem Problem helfen kann.

Der große Vorteil dieses Vorgehens liegt in dem gemeinschaftlichen Festlegen, was wie von wem zu tun ist. So hat jeder Teilhabe, kann sich einbringen und fühlt sich wertgeschätzt. Die Transparenz des Prozesses tut sein weiteres. Die Motivation dieser Teams ist gegenüber den nicht-selbstbestimmten Mitarbeitern sehr viel höher und damit ist auch die Produktivität höher.

Anarchie – ohne Hierarchie, die höchste der Organisationsformen

Es sieht also so aus, dass es auch ohne einen Chef geht. Nun wollte ich wissen, wo es so etwas schon in ähnlicher Weise gegeben hat und bin über den Begriff Anarchie quasi gestolpert. Denn mit Anarchie hatte ich bisher eher was Abwertendes, Chaotisches, nicht Organisiertes, Sogar Zerstörerisches verbunden. Weit gefehlt!! Anarchisten, die den Ansichten des russischen Großfürsten Pëtr Alekseevič Kropotkin folgen, sind absolut gewaltfrei und wohl organisiert. Aber ohne eine Herrschaft. Also auch keine wie im Kommunismus. Die Gemeinschaft, oder auch Genossenschaft, wie sie schon zu Zeiten der Germanen gepflegt wurde, entscheidet, was getan wird.

Auf der Suche nach entsprechenden Beispielen bin ich auf den Artikel Diagnose: „Kapitalismus“ – Vom Krankheitsbild eines absurden Wirtschaftssystems und der Aktualität einer anarchistischen Alternative von Horst Stowasser aus dem Jahr 2008 gestoßen. Was er hier an Alternative zu Kapitalismus in Kürze aufspannt, hört sich wie der Himmel auf Erden an. Kein Wunder, dass Anarchisten als Utopisten verschrien sind. Aber muss das so sein?

Horst Stowasser zur Anarchie

Folgen wir der anarchistischen Wirtschaftsvision, so dürfen wir annehmen, dass in einer Gesellschaft der konsequenten Bedürfnisproduktion die Menschen solche Dinge herstellen werden, die sie tatsächlich brauchen und haben wollen. Diese Gesellschaft bräuchte keine Rüstung mehr, keine Raumfahrttechnologie, keine Werbung, keine künstlichen Modetrends, keine gewollt konstruierten Verschleißprodukte, keine Prestigeausgaben, keine Kriege, keinen Superluxus für die Superreichen, keinen unnützen Transport, keine Spekulationsgeschäfte, keine staatliche Repräsentation, keine reichen Sozialparasiten, die auf Kosten anderer ein arbeitsloses Einkommen genießen und so weiter… Ebenso käme sie ohne Bürokratenheere aus, weil sie sich selbst verwalten könnte, ohne Sozialhilfe und Arbeitslosengelder, weil sie ein Solidarsystem kleiner Gruppen wäre, und vermutlich auch ohne den eminent teuren Repressionsapparat von Justiz, Polizei, Strafvollzug. Auch im aufgeblähten Medien- und Kommunikationsbereich würden die Menschen vermutlich gerne auf einiges verzichten wollen. All das aber bindet heute unglaubliche Mengen an Arbeitskraft, Kreativität, Ideen, Ressourcen, Werten und Geld. Für die Herstellung und Verteilung von Waren, Lebensmitteln und Dienstleistungen wird schon heute der geringere Teil menschlicher Arbeit aufgewendet – der größere Teil wird verschwendet und verpufft in „Leistungen“, die entweder niemand wirklich braucht, oder die auf andere Weise besser organisiert werden könnten.

Alle Jahre wieder kursieren Studien  amerikanischer und europäischer Universitäten, die ausrechnen, wieviel Arbeitsstunden der Mensch bei einer konsequenten Bedürfnisproduktion noch leisten müsste, um den Bedarf aller Menschen der Erde zu befriedigen. Wohlgemerkt: aller Menschen. Und wir sprechen hier nicht nur von der bloßen Ernährung, sondern von einem anständigen Konsum- und Lebensstandard! Zur Zeit liegen diese Zahlen zwischen drei und fünf Stunden täglich, manche Anarchisten kommen mit ihren Rechenkunststücken sogar auf die phantastische Vision einer Fünf-Stunden- Woche – und nicht mal die ist bei genauerem Hinsehen von der Hand zu weisen… Wie dem auch sei, die Welternährungsexperten der Vereinten Nationen sind sich darin einig, dass allein der weltweite Wegfall der Rüstung genügend Kräfte und Mittel freisetzen würde, um mit dem Hunger in der Welt sofort Schluss zu machen.

Warum aber tut man es dann nicht?“, fragt meine naive Tochter.

Die Antwort ist ebenso einfach wie absurd: Wegen der inneren Logik unseres  Wirtschaftssystems. Im Kapitalismus zahlt es sich nicht aus, den Hunger zu besiegen, und ist deshalb ökonomisch unvernünftig. Denn hungernde Menschen stellen keinen „Markt“ dar: sie sind zu arm, um zu bezahlen. Rüstung hingegen ist ein vernünftiges Geschäft, und der Supercoup, von dem jeder Rüstungsmanager träumt, ist der Krieg, weil sich dabei nämlich die teuren Waffensysteme selbst vernichten, so dass sie anschließend wieder neu gekauft werden müssen.

Aber wir haben uns ja auch mal aufgemacht, eine Demokratie einzurichten, weil man sie für besser hielt. Ob wir auch einmal reif für solch einen Ansatz im Großen  wären?

Dass diese Lebensform funktionieren kann, ist immerhin schon mehrfach bewiesen worden. Im Kleinen praktizieren wir es, wie u.a. das Beispiel SCRUM zeigt, mehr und mehr.


Image may be NSFW.
Clik here to view.
Image may be NSFW.
Clik here to view.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 18

Trending Articles